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Es reicht: Warum alte Hunde-Mythen endlich weg müssen!

  • Marlen Brandenberg
  • vor 6 Tagen
  • 7 Min. Lesezeit

Hundeerziehung beginnt heute oft mit einem Sitz – manchmal schon beim sieben Wochen alten Welpen.


Und zwar am besten: am Fussgängerstreifen, an der Haustüre, beim Kreuzen von Artgenossen, jederzeit und auf Kommando – bitte schön zackig. Links laufen, nicht auf die Couch! Und der Knochen? Den darf man ihm ruhig mal wieder wegnehmen – schliesslich soll der Hund lernen, dass ihm nichts gehört. Keine Diskussion - ich bin hier der Boss!


Aber Moment mal. Geht es hier wirklich um Erziehung – oder doch nur um Kontrolle? Und wollen wir nicht eigentlich eine Beziehung zu unserem Hund?


Woher kommts?

Viele dieser Regeln stammen aus einer Zeit, in der Hunde möglichst funktional und „brav“ sein sollten. Ob im Militär, bei der Jagd oder im Schutzhundesport – der Hund hatte zu gehorchen. Punkt.

Auch die oft zitierte Dominanztheorie hat ihren Ursprung in alten Wolfsstudien, die längst überholt sind. Selbst der Forscher David Mech, der das Alpha-Modell einst prägte, distanzierte sich später davon. Trotzdem geistert das Konzept noch durch viele Hundeschulen und TV-Shows und wurde zum Mythos!

Was dabei völlig vergessen geht: Der Hund ist kein Rivale. Kein Soldat. Und kein Befehlsempfänger. Sondern ein fühlendes Lebewesen, das Beziehung sucht – keine Rangordnung.


Erschreckend ist: Diese Regeln und vermeintlichen Tipps lese ich nicht nur auf irgendwelchen semiprofessionellen Social Media-Beiträgen als "10 Tipps für den gehorsamen Hund". Sondern ich höre immer wieder bei meinen Kunden, dass sie so auch noch in einigen Hundeschulen gelehrt werden. Diese veralteten Methoden & Mythen helfen uns für einen vertrauensvollen Umgang mit dem Tier nicht weiter - ganz im Gegenteil, sie verunsichern den Hundehalter... aber vor allem auch den Hund!


Ich möchte deshalb heute ein für alle Mal mit ein paar hartnäckigen Mythen aufräumen.

  • Pro Hund - Contra Mythen

  • Pro Beziehung - Contra Dressur

  • Pro Vertrauen - Contra Unterordnung.


Denn es wird Zeit, dass wir anfangen, den Hund als das zu sehen, was er ist: Ein fühlendes, mitdenkendes und soziales Lebewesen – kein Befehlsempfänger im „Sitz!“- Modus.


Ah, und noch kurz, wer nicht weiss was Mythen sind, hier ne kurze Erklärung: Mythen sind überlieferte Vorstellungen, Erzählungen oder Glaubenssätze, die oft als wahr gelten, obwohl sie nicht (mehr) wissenschaftlich belegbar oder korrekt sind. Sie können aus Traditionen, Missverständnissen, veralteter Forschung oder populären Meinungen entstehen – und halten sich manchmal hartnäckig, selbst wenn sie längst widerlegt wurden.


OK, nun gehts los:


Links vor Rechts - stimmt das?

Der Hund muss auf deiner linken Seite laufen – warum eigentlich? Wer hat entschieden, dass die Welt links besser oder sicherer ist als rechts? Und wie flexibel bist du, wenn dein Hund mal Raum braucht oder der Weg links voller Mülltonnen ist? Meiner Ansicht nach macht es keinen Sinn, das auf einer Seite festzulegen.

Der Ursprung der Regel „Der Hund gehört auf die linke Seite“ liegt nicht etwa in moderner Verhaltensforschung, sondern in der Militärgeschichte. Soldaten führten ihre Hunde links, um rechts ihre Waffen tragen und nutzen zu können. Eine reine Zweckmässigkeit – keine artgerechte Empfehlung für den Alltag. (Historischer Ursprung aus militärischer Leinenführung) - Und noch immer wird Hundehaltern eingeredet, das Laufen auf der linken Seite sei wichtig – und vor allem richtig.


Frontales kreuzen von anderen Hunden, Menschen & Co

Ein ähnlicher Mythos: „Wir müssen frontal kreuzen – damit der Hund lernt, damit umzugehen.“ - Aber müssen wir das wirklich?

Oder dürfen wir nicht auch mal einen Bogen laufen – ganz bewusst – um Frust, Stress oder Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen?

Ich finde: Ja, unbedingt.

Denn Bogenlaufen ist nichts anderes als höfliches Verhalten unter Hunden. Es gehört zu den sogenannten Beschwichtigungssignalen – also Kommunikationsformen, mit denen Hunde Spannung abbauen, Konflikte vermeiden und auf Deeskalation setzen.

Wer sich auskennt, sieht sie überall: Ein Blick zur Seite, ein leichtes Züngeln, ein Bogen beim Annähern, ein kurzes Schnüffeln am Wegesrand, statt direkter Konfrontation.

All das sind keine „Ablenkungen“ oder „Ungehorsam“. Es ist Sprache – nonverbal, aber deutlich. Und wenn wir wollen, dass unsere Hunde uns verstehen, dann sollten auch wir anfangen, sie zu verstehen und nicht mehr frontal in alle möglichen Situationen rein laufen!



Der Hund darf auch einen Bogen laufen.

Ignorier den Hund - vor allem wenn er Angst hat

Mythos: Dem Hund nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, sonst nimmt er sich selbst zu wichtig. Wenn du nach Hause kommst und er sich freut - ignorieren. Wenn er deine Nähe sucht und kuscheln möchte - ignorieren. Und ganz besonders: Wenn er Angst hat, zum Beispiel bei einem Gewitter - ignorieren.

Bitte nicht machen! Oder direkt damit aufhören!!


Ein Hund ist ein fühlendes Wesen, das in herausfordernden Momenten bei dir Halt sucht oder auch Freude und Aufregung mit Nähe kompensieren möchte.

Bekommt er keine Rückmeldung, keine Orientierung, keine Nähe, wird aus Unsicherheit schnell Überforderung. Und die wächst, wenn niemand da ist, der sie auffängt.

Und mal ehrlich: Ist es nicht das Schönste, wenn man freudig an der Haustüre begrüsst wird? Warum sollten wir ausgerechnet in diesen Momenten auf Distanz gehen?

Bitte: Ignorier deinen Hund nicht – erst recht nicht, wenn er dich braucht.


Und wers noch wissenschaftlich belegt braucht: Der weit verbreitete Ratschlag, einen ängstlichen Hund zu ignorieren, hält sich hartnäckig – ist aber längst wissenschaftlich widerlegt. Studien zeigen, dass soziale Nähe und Zuwendung in Stresssituationen messbar beruhigend wirken – vergleichbar mit dem Bindungsverhalten beim Menschen. Angst lässt sich nicht „wegignorieren“. Angst braucht Sicherheit. (Quellen: Rehn et al., 2014; Yin, 2009)


Angst braucht Sicherheit

Sitz. Platz. Pfui - das Ein-Wort-Kommando

Worte, die man wie Befehle raushaut, ohne sich zu fragen, ob der Hund überhaupt versteht, was wir meinen. So schnell kann dein Hund meist gar nicht erfassen, worum es geht. Er ist verwirrt und gestresst. Und wir sind total unauthentisch, da wir sonst im Alltag ja auch immer in ganzen Sätzen kommunizieren.... nur nicht mit dem Hund! Und ich persönlich finde diese Ein-Wort-Sprache auch noch total unfreundlich, so will und kann ich NICHT mit meinem besten Freund sprechen!!


Und da wären wir auch schon beim nächsten Tipp, der sich hartnäckig hält: Am besten gar nicht mit dem Hund sprechen. Weil er uns ja sowieso nicht versteht.

Logo – wenn wir ununterbrochen auf unseren Hund einreden, ohne Sinn und Palaver, dann verwirren wir ihn. Klar. Das kann stressen. Aber daraus abzuleiten, man solle ihn am besten ignorieren oder nur in knappen Ein-Wort-Befehlen ansprechen?

Das ergibt keinen Sinn.

Denn auch wenn dein Hund nicht jedes Wort versteht – er versteht sehr wohl, was du meinst. Er hört deine Stimme, spürt deine Stimmung, liest zwischen den Zeilen – oder besser: zwischen Tonlage, Körperspannung und Kontext. Er merkt sofort, ob du unsicher, gestresst oder liebevoll bei ihm bist.

Und hier wird’s spannend: Studien zeigen, dass Hunde uns besser verstehen, wenn wir in vollständigen, klaren Sätzen sprechen – nicht in abgehackten Kommandos. Denn Hunde achten nicht nur auf das eine Wort, sondern auf die gesamte Botschaft UND sie lernen im Kontext und verstehen dann auch die Worte!

Ein ruhiges: „Komm, wir gehen da lang – das ist angenehmer für dich“ gibt deinem Hund Orientierung. Sicherheit. Verbindung.

Ein hartes: „Hier!“ kann im Gegenzug bereits Stress auslösen – vor allem, wenn er gar nicht weiss, wozu oder wohin.

Sprache ist Beziehung. Und wenn wir unsere Stimme nutzen, bewusst und freundlich, dann ist das kein „Vermenschlichen“ – sondern ein Zeichen von echtem Miteinander.

Warum also sollten wir uns ausgerechnet diese Verbindung nehmen?


Sprache ist Beziehung

Dominanter Hund - oder: Wer ist hier der Boss?

Mythos "Der Alpha": Wir unterbinden alles, was wir als Dominanzverhalten des Hundes interpretieren und zeigen statt dessen die menschliche Dominanz (Der Mensch ist der Alpha, der Chef). Dann darf der Hund nicht markieren (zu dominant), auch "Aufreiten" ist ein dominantes Verhalten. Nur der Mensch bestimmt, wann sein Hund schnüffeln darf.

Ganz wichtig auch: Wenn wir einen Raum betreten, geht immer erst der Mensch durch die Tür, dann der Vierbeiner. Und zwischendurch sollten wir ihm immer mal wieder seinen Knochen wegnehmen, um zu zeigen das wir Chef im Hause sind....

Warum das alles? Weil der Hund sonst dominant wird? Weil er morgen die Weltherrschaft übernehmen möchte? Oder einfach, weil wir glauben, ein Hund muss sich alles gefallen lassen?

Meine Ansicht: Nein, das muss er nicht!

UND: es ist sogar gefährlich, nach diesem Mythos zu handeln!!


Denn: Wenn wir alles unterbinden, was nach vermeintlich „dominantem Verhalten“ aussieht – also Schnüffeln, Markieren, Aufreiten, Raum einnehmen, Besitz zeigen – dann bestrafen wir oft schlicht normale hundliche Kommunikation.

Die Folge kann sein: Angestauter Stress, Misstrauen gegenüber dem Menschen, sozialer Rückzug – oder plötzliche, scheinbar „unvorhersehbare“ Reaktionen wie Knurren oder Schnappen.

Nicht, weil der Hund „plötzlich aggressiv“ ist – sondern, weil er nicht verstanden wurde!


Kuscheln verboten!

Vor allem auf Sofa & Bett - da hat der Hund eindeutig nichts verloren. Eine immer wieder sehr beliebte Diskussion. Aber warum eigentlich? Symbolisiere ich Macht und Status, wenn ich bestimmte Bereiche nur für den Menschen definiere, an denen der Hund nicht sein darf? Warum sollte ich mir diese wunderbare Gelegenheit der Nähe und Geborgenheit nehmen, in dem ich ihn vom Sofa verbanne? Wenn der Hund gerne mit dir an einem gemütlichen Ort kuscheln möchte, ist das doch das Beste, was man haben kann, um Vertrauen aufzubauen und zu geniessen. Bitte nehmt euch doch nicht diese Chance, um echte, tiefe Verbindung zu stärken! PS: ich persönlich kann ohne Hund im Bett nicht gut schlafen.... ;-)


Die sogenannte Dominanztheorie basiert ursprünglich auf Beobachtungen von Wölfen in Gefangenschaft. Selbst der Wolfsexperte David Mech, der diesen Begriff prägte, hat seine Theorie später revidiert. In freier Wildbahn leben Wölfe nicht in starren Hierarchien, sondern in familiären Strukturen – ähnlich wie ein Elternpaar mit seinen Kindern. Dominanzdenken ist also längst überholt – sowohl beim Wolf als auch beim Hund. (Quelle: Mech, 2000)


Der Hund kuschelt auf dem Sofa - warum denn nicht?


Es wird Zeit, dass wir Verhalten verstehen, statt es reflexhaft zu korrigieren. Zeit, dass wir Beziehung gestalten, statt Erziehung inszenieren. Dein Hund ist kein Programmiercode – sondern ein echtes Lebewesen. Es gäbe noch viele Mythen mehr, die es zu besprechen wert wären... aber dies ein andermal!


Und wer noch mehr Quellen und Studien benötigt, weil er noch immer denkt, dass der Hund kein fühlendes, empathisches Lebewesen ist, sollte sich hier weiter belesen:


  • Studien belegen: Hunde, die durch positive Verstärkung lernen, zeigen weniger Problemverhalten und bauen eine engere Beziehung zum Menschen auf. Training über Strafe oder Dominanz schafft dagegen eher Unsicherheit – nicht Vertrauen.

    (Quelle: Hiby et al., 2004)

  • Nähe schafft Vertrauen – auch auf dem Sofa. Studien zeigen, dass soziale Nähe eine zentrale Rolle im Bindungsverhalten von Hunden spielt. Es geht nicht um „Status“, sondern um Sicherheit und Verbindung. (Quelle: Hall et al., 2016)

  • Weitere vertiefende Literatur zum Thema Körpersprache und Deeskalation bei Hunden:

    Turid Rugaas (2006): Beschwichtigungssignale – Die Körpersprache der Hunde verstehen, Animal Learn Verlag, ISBN: 978-3-936188-02-6

    Marc Bekoff (2007): The Emotional Lives of Animals, New World Library, ISBN: 978-1577316290

    Marc Bekoff & Jessica Pierce (2009): Wild Justice – The Moral Lives of Animals, University of Chicago Press, ISBN: 978-0226041636

    John Bradshaw (2011): Hundeverstand - Über das Wesen unserer besten Freunde, Kynos Verlag, ISBN: 978-3-938071-69-0


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